Menschen am Arlberg (2): s´Älpele und die Geschichte von der “Kräuterhexe”

In den vielen Jahren, in denen es mich immer wieder an den Arlberg und nach Lech zurückgeführt hat, hat es viele Personen gegeben, die mir durch ihre Persönlichkeit, ihre freundliche Zuwendung und Aufgeschlossenheit oder durch ihre eigenwillige Lebensart in Erinnerung geblieben sind. Einige von denen möchte ich in meinen nächsten Beiträgen zu diesem Blog aus der Erinnerung hervorholen.Gerade die langjährigen Lech-Gäste, von denen sich vermutlich viele im Juli dieses Jahres beim Treffen der Ehrennadel-Träger in Lech versammeln werden , werden die eine oder andere Erinnerung mit mir teilen

Es war während eines meiner ersten Aufenthalte im Goldenen Berg Anfang der siebziger Jahre, als Franz Pfefferkorn-damals Chef und heute Seniorchef des Goldenen Berg-Hotels- mir während einer der unvergessenen nächtlichen Fackel-Abfahrten von Oberlech nach Lech erzählte, dass es ganz hinten im Zuger Tal eine einsame alte Frau – „die Plonerin“- gäbe, die im Volksmund als Kräuterhexe bekannt war.

Sie lebe dort zwar einsam und unter einfachsten Bedingungen, aber von ihrer Vergangenheit –so hieß es- würden durchaus interessante oder gar geheimnisvolle Dinge erzählt. So war unter anderem die Rede von einer anspruchsvollen Internatsausbildung in der Schweiz, ihrer beachtlichen Allgemeinbildung und ihrer Herkunft aus Südtirol und noch anderen unbestätigten Gerüchten.

Mehr oder weniger amüsiert nahm ich dich alles zur Kenntnis und ordnete diese Erzählung unter dem Stichwort „Heimatsagen und Legenden“ wohlwollend im Gedächtnis ein.

In den Folgejahren tauchen aber immer wieder an unterschiedlichster Stelle derartige Erzählungen auf, und so allmählich nahmen die Gerüchte immer konkretere Formen an.

Und dann kam mir das Wetter zur Hilfe: Es war einige Tage nach Weihnachten 1977–Silke und ich hatten wenige Tage zuvor im Alten Goldenen Berg geheiratet- da standen in Lech alle Lifte still – auch wenn Michi Manhart (schon damals Dompteur des Lecher Skizirkus!) es wahrscheinlich bis zum Beweis des Gegenteils bezweifeln wird ! Sturm und Neuschnee ließen vom frühen Morgen an keine Besserung erwarten, und so beschlossen wir –meine frisch angetraute Ehefrau, mein Schwager und Trauzeuge und ein langjähriger Freund- dass dies der richtige Tag sei, einmal die  Langlaufloipe nach Zug auszuprobieren.

In ganz normalen Skianzügen und geliehenen Langlaufschuhen und -Ski machten wir uns auf den Weg und merkten ganz bald, dass der sportliche und schweißreibende Wert des Ski-Langlaufs weiß Gott nicht zu unterschätzen war. Allen voran mein vom Bundeswehr-Sport gut trainierter Schwager, landeten wir schließlich im hinteren Lechtal. Die Zuger Häuser hatten wir schon weit hinter uns gelassen, als wir uns schließlich einem weitgehend verfallenen alten Bauernhaus näherten, mit rußgeschwärzten, zum Teil verkohlten Balken, aus dessen Schornstein aber immerhin Rauch emporstieg! Hier war also offenbar Leben zu erwarten….(Die Leser meines ersten Blog-Beitrags werden sich erinnern, das ich auf solche Lebenszeichen immer mit erhöhter Aufmerksamkeit reagiere..!)

Was ich schon von weitem geahnt hatte, bestätigte sich dann: Vorsichtig drangen wir in die Reste des einstiegen Wohnhauses ein, wo uns bald ein freundliches „Grüßgott“entgegen schallte. Und da stand sie nun-die geheimnisumwitterte Kräuterhexe- von unkalkulierbarem Alter, aber höchst vital!  Berta Ploner –so erfuhr ich später- war ihr Name, aber das wussten eh nur wenige….

Ein lebhaftes Gespräch kam schnell in Gang, und wir wollten natürlich wissen, wie lange sie schon dort lebte und ob es ihr an nichts fehle. Die Antwort war unpräzise und typisch für einen Menschen, der fern der alltäglichen Zivilisation „jenseits von Zeit und Raum“ lebt: „Schon viele Winter, seit mein Mann tot ist….“

Früher -so erzählte sie weiter-habe sie mit ihrem Mann weiter oben die Göppinger Hütte bewirtschaftet, aber einen Schnaps gäbe es bei ihr auch jetzt noch –selbstgebrannt, meine sie augenzwinkernd, und ein Glas gebe es auch- freilich nur ein Einziges, was dann zwischen durch in der “Küche” in Schmelzwasser getaucht und mit einem Stück Zeitungspapier ausgewischt wurde, aber immerhin…

Zeitungen, Zeitschriften und sogar Bücher hatte sie übrigens genug- zwar nicht die allerneuesten, aber was macht das schon, wenn man den ganzen Winter über ohne allzuviel Kontakt zur Aussenwelt lebte. Da sind auch die Nachrichten von gestern und vorgestern immer noch interessant…hier hinten weit aber vom zivilisierten Alltag sind sie eben nicht Schnee von gestern!.

Und die Königin sei auch schon da gewesen, berichtete sie stolz –gemeint war zweifellos Juliane von Holland!

Ihre Zeit auf der Göppinger Hütte muss verdammt lang her gewesen sein, denn das Ortsbuch Lech erwähnt Rupert Ploner als Hüttenwirt  der Göppinger Hütte schon im Zusammenhang mit einem Ereignis des Jahres 1940! Nach einem Bomber-Absturz  nahe der Hütte hatte er die getöteten Soldaten in der Nähe der Hütte notdürftig begraben und dann die Metallteile der abgestürzten N1382 nach und nach im Tal als Altmetall verkauft.(Anmerkung des Autors: Inzwischen weiss ich, dass die sterblichen Überreste der Besatzung später auf dem Lecher Friedhof zur Ruhe gebettet worden sind.)

Ich hab` sie danach nie wieder getroffen, die Kräuterhexe – vielleicht weil die Lifte in der Zukunft nie stillgestanden haben und ich die Hänge bis zum heutigen Tag der Loipe vorziehe. Ganz vergessen war sie besonders unter den Einheimischen aber nie!

Franz Haslinger berichet 2010 in seine e-book “Lech am Arlberg – ein Platz zum Wohlfühlen” :

“Es ist schon fast sechzig Jahre her. Die Geschichte trug sich in Zug zu, einem Ortsteil von Lech im hinteren Lechtal. Schuld daran war eine Lawine, die den Kuhstall eines Bauern beinahe eindrückt hatte. Hinaus in die Schneewüste konnten die Tiere nicht, da wären sie erfroren.

Haslinger berichtet weiter:

“Elmar Walch –bis 1988 Leite der “Lecher Skischule”- meinte deshalb ohne lange nachzudenken: „Da müssen wir hin und den Stall abstützen.“ Und so schlugen sie sich auf Schiern nach Zug durch – mit  dabei waren noch sein Onkel Josef Schneider, der damalige Bürgermeister Gebhard Jochum und der Gendarm Birnbaumer – gemeinsam halfen sie dem Bauern beim Abstützen der Stalldecke.

„Ob der Berta was passiert ist“, meinte da plötzlicheiner von ihnen, „und ob sie wohl noch genug zu essen hätte?“

Mit der Berta meinten sie die Berta Ploner, die mutterseelenallein im Älpele, weiter hinten im Lechtal, wohnte. Die Berta ist eine Lecher Institution gewesen. Dabei war sie gar keine Einheimische, sie kam aus Südtirol und hatte viele Jahre lang gemeinsam mit ihrem Mann die Göppinger-Hütte bewirtschaftet. Als die beiden das nicht mehr schafften (erzählt wird  von Schneeblindheit das alten Rupert Ploner), zogen sie 700 Meter tiefer ins Lechtal hinunter und wohnten fortan im “Älpele” – einer einsamen Alpe, ungefähr dort,wo auch die Talstation der Materialseilbahn stand (und noch heute steht!) , mit der sie all die Jahre die Göppinger-Hütte vesorgt hatten. So ganz wollten sie „ihre“ Hütte nun doch nicht aus den Augen verlieren. Nach dem Tod ihres Mannes war die Berta dann alleine im Älpele geblieben….

An dieser Stelle hat Franz Haslinger, den ich hier zitiert habe, offenbar falsch recherchiert:
Michael Manhart von den Lecher Skiliften hat dazu als Zeitzeuge vor einigen Tagen eine Richtigstellung beigesteuert: “…..zur Korrektur der Geschichte der Ploners auf der Göppinger Hütte darf ich bemerken, dass die Materialseilbahn vom Älpele zur Göppinger Hütte erst nach Ende der Bewirtschaftung der Göppinger Hütte durch die Familie Ploner errichtet worden ist!! Zu meiner Zeit als Kind haben die Ploners die Lebensmittel und das Material für die Göppinger Hütte noch mit Mulis transportiert! Ich war damals mit meiner Großmutter Anna Bildstein im Winter auch öfter zu Besuch bei den beiden Ploners in der Alphütte des Zuger Älpele.”

Und so spurte die Gruppe mit einem Sack Lebensmitteln die paar Kilometer taleinwärts. Die Eingangstür ins Haus war zugeschneit, und gerade als sie mit dem Freischaufeln beginnen wollten, kam die Berta durch ein Dachfenster aus dem Haus herausgekrochen. Es war nichts passiert, doch solch ein Erlebnis vergisst man trotzdem nicht.”

Die Berta machte jedenfalls weiter ihren Kräuterschnaps, und jahrelang pilgerten Lecher Gäste aus allen Ländern zur „Kräuterhexe“, wie sie die Besucher liebevoll nannten, um mit ihr zu plaudern und einen Schnaps, – oder auch mehrere, zu trinken und gelegentlich auch ein”Trinkgeld” in des Wortes ureigenem Sinn zu hinterlassen.

Als meine Familie dann späteren den achtziger Jahren bei sommerlichen Wanderungen ins Zuger Tal den Kindern die Liebe zur Lecher Bergwelt (übrigens mit Erfolg!) näher zu bringen versuchte, war sie nicht mehr da….. und an die Stelle des alte verfallenden Bauernhauses ist eine schmucke Gaststätte getreten, die  im Sommer die Wanderer vorm Haus zum Verweilen an rustikalen Tischen und Bänken einlädt und im Winter den Gästen nach einer romantischen nächtlichen Schneemobil-Fahrt eine vorzüliche Küche präsentiert.

Berta Ploner: Keiner ihrer Gäste hätte wohl mit ihr tauschen wollen, aber manch einer hat sie vielleicht insgeheim bewundert ob ihrer Konsequenz, einen einmal begonnenen Lebensweg zu Ende zu gehen!

Hochachtung, Frau Ploner!

 

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3 Gedanken zu „Menschen am Arlberg (2): s´Älpele und die Geschichte von der “Kräuterhexe”

  • 8. Juni 2017 um 15:31
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    Ihr feiner letzter Bericht wurde von mir durstig inhaliert. Natürlich kannte ich die “Kräuterhexe” und ihr “Lokal”. Aber Bezug nehmen will ich zum Absturz des englischen(?) Bombers oberhalb der Göppingerhütte.Wir Buben wußten davon und machten uns auf den Weg dorthin.Das Wrack lag,ziemlich kompakt da. Die Crew war wohl schon weg gebracht.Sie liegt übrigens auf dem Lecher Friedhof beerdigt. Unser besonderes Interesse erregten aber die zum Teil wohl schon in einem letzten verzweifelten Versuch der Lebensrettung geöffneten Fallschirme. Jede Art von Textilie war ja damals schon straff bewirtschaftet.
    Dieses – noch heute stark nachwirkende Ereignis – ersteht wieder plastisch vor mir.

    Dank und Gruß
    H.Erhart

    Antwort
    • 8. Juni 2017 um 15:35
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      Ich freue mich, einem Zeitzeugen einen kleinen Ausschnitt der eigenen Biographie aufgefrischt zu haben.

      Beste Grüße E.Bechler

      Antwort
  • 9. Juni 2017 um 9:19
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    Hier und da werden meine Berichte ja offensichtlich gelesen. Jedenfalls erhielt ich Gesprächen mehrfach den Hinweis, dass die “Gründerväter” der Dreißiger Jahres offenbar auch ausserhalb des offiziellen politischen Kampfes um ihre Idee auch einige “verdeckte” Ressourcen zum Einsatz bringen konnten. Die treibende Rolle des Sepp Bildstein dürfte so zum Beispiel mit einiger Gewissheit von seiner einflussreichen Position beim strategisch wichtigen Automobilbauer Daimler-Benz profitiert haben. Man musste die damaligen Machthaber ja nicht mögen, es genügte oft ja schon, sie zu kennen….

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